Wie es ist – chronisch krank zu sein (was Fotos nicht zeigen)

Ich möchte heute ein bisschen darüber schreiben, wie es ist chronisch krank zu sein. Was es mit einem macht. Was einen unterscheidet.

Ich zeige Euch hier ja gern meine #12von12 oder was wir in einem Monat alles so gemacht haben. Da ist nichts geschönt, ich stelle auch keine Fotos, das mache ich mit Absicht, auch wenn es anders vielleicht manchmal *hübscher* wäre. Ich zeige meinen Alltag, so wie er wirklich ist. Trotzdem kommt manches nicht rüber. Gerade die lupusspezifischen Einschränkungen sind schlecht im Bild einzufangen oder in einem Halbsatz zu beschreiben.

Ich dreh durch

Ihr seht keine Bilder von meinem unruhigen Schlaf. Wie ich nachts wachliege, an die Decke starre, Mann, Kind und Katzen beim Atmen zuhöre, aufstehe, herumwandere, das Internet am Handy von vorn bis hinten durchlese, um dann irgendwann endlich wieder einzuschlafen.

Ihr seht nur wenige Bilder von den Abenden auf der Couch, wo ich kaum zur Konversation fähig bin und nur noch meine Ruhe möchte und es gleichzeitig bedauere, so passiv zu sein.

Ihr seht kaum Bilder mit Freunden, weil da eigentlich keine mehr sind. Ich habe mich in den ganz schlimmen Phasen von allem und jedem zurückgezogen, war nicht in der Lage Freundschaften zu pflegen. Mit  den Jahren bin ich auch nicht gerade aufgeschlossener geworden und tue mich heute sehr schwer „richtige“ neue Kontakte zu knüpfen. Man trifft sich über die Kinder, die Schule, usw., aber sonst… Ich bin dankbar, dass ich einige Kontakte über das Internet halten konnte und weiter pflegen kann <3!

Ihr werdet keine Bilder von mir aus der Zeit zwischen 1993 und 2000 finden. Weil es keine gibt. Weil ich 7 Jahre lang ohne Diagnose mich von Arbeitstag zu Arbeitstag gehangelt habe und keinerlei Ressourcen für ein Leben ausserhalb von schlafen, essen und arbeiten hatte. Weil mich kein Arzt ernst nahm und mich krankschrieb und ich einfach nur meine Existenz sichern musste.

Ihr werdet kein Bild sehen, wo ich entspannt zum Arzt gehe. Mein Verhältnis zu Ärzten ist misstrauisch, angespannt und schwierig. Ich habe bis heute keinen Arzt getroffen, der einfach einmal meine Schilderungen ernst nahm und ihnen nachging. Immer mussten erst schwerwiegende Symptome oder massive Veränderungen im Blutbild vorliegen, ehe etwas passierte. Ich kann auch nicht die 7 Jahre vergessen, in denen ich als Simulant und Weichei hin- und hergeschoben wurde. Es gelingt mir nicht, mit Ärzten so zu kommunizieren, dass ich ernst genommen werde.

Ihr könnt auch keine Bilder von all den Dingen sehen, die ich gerne machen würde, aber nicht machen kann. Sport zum Beispiel, einfach Radfahren, an den Strand gehen und nicht als erstes nach Schatten suchen, heimwerken. Mich im Garten austoben bis die Arbeit erledigt ist und nicht bis mein Körper erledigt ist. Mit den Kindern Trampolin springen.

Man kann keine Bilder von der beruflichen Perspektivlosigkeit machen. Es ist nicht fotografierbar, wie man mit eingeschränkter Leistungsfähigkeit, Fehlzeiten, körperlichen Einschränkungen, der psychischen Belastung durch chronische Krankheit am „normalen“ Erwerbsleben (nicht) teilnehmen kann.

Ihr werdet auch keine Bilder von meinem gestörten Verhältnis zu meinem Körper finden. Der schmerzt und spinnt, immer neue Symptome bildet, sich verändert. Mir Angst und Schrecken einjagt, selten zeigt, was ihm eigentlich wirklich fehlt. Den ich misstrauisch beäuge, in der ständigen Erwartung neuer Miesepetrigkeiten.

Ihr werdet auch keine Bilder von der sozialen Ausgrenzung finden. Die herrührt aus der häufigen Unfähigkeit an Veranstaltungen teilzunehmen, auszugehen, zu networken, in Kontakt zu sein. Man kann nicht fotografieren, welche Anstrengung grössere Feiern, Konzerte und ähnliches mit sich bringen. Auch die Berührungsängste der „gesunden“ Menschen mit chronisch Kranken, gar noch jungen Menschen, sind schwer zu zeigen.

Ihr werdet weiterhin Bilder sehen, wie ich meinen Alltag gestalte. Wie ich ein buntes Leben führe, obwohl manche Dinge nicht so gehen, wie ich es gerne hätte. Ich zeige Euch unser Leben mit den Kindern, unseren ganz normalen Alltag, der mitunter mit angezogener Handbremse funktionieren muss. Ich hoffe, Ihr habt Spass daran <3!

 

 

 

Aus der Reihe: Wie es ist – 

6 Kommentare zu „Wie es ist – chronisch krank zu sein (was Fotos nicht zeigen)“

  1. Liebe Antje,
    herzlichen Dank für diesen tollen Beitrag!!
    Ich schaue immer mal wieder auf deiner Seite vorbei und bin von deinem umfassenden Familienleben beeindruckt.
    Es ist tatsächlich wahr, dass die Bilder und sonstigen Beiträge einen etwas anderen Eindruck suggerieren… Immer wieder mal habe ich mich gefragt, wie das möglich sein kann. Der heutige Beitrag erklärt Einiges. Gleichzeitig stimmt er mich etwas traurig, aber so ist die Realität mit einer/dieser chronischen Erkrankung nun einmal.
    Ich selbst habe eine zweijährige Tochter und stoße im Alltag auch immer wieder an meine Grenzen. Gerade in Zeiten, in denen es mir nicht gut geht, ist dein Blog ein wahrer Segen!
    Ich habe unglaublich viele Fragen und würde sehr gerne in einen Austausch treten…
    Viele liebe Grüße
    Simone

  2. Liebe Antje,
    ich möchte dir gerne danken für deinen obigen Post und deine offenen und ehrlichen Worte!!!
    Seit einiger Zeit lese ich sehr gerne deinen Blog und hatte dir ja auch schon mal geschrieben, dass ich es bewundere, wie du deinen Alltag mit deinen 3 Kindern meisterst.
    Du hast völlig Recht, Bilder können gar nicht „alles“ zeigen…. die Bemühungen, die schwindenden Kräfte, die Angst, wie´s mir der Krankheit weiter geht, damit leben zu müssen, dass man auf so vieles verzichten muss, umzugehen mit der Rücksichtslosigkeit oder dem Unverständnis vieler Menschen, dem kleiner werdenden Freundes- und Bekanntenkreis, die große Erschöpfung, sich ständig zurücknehmen zu müssen , die Nebenwirkungen der Medikamente zu spüren, auszuhalten und das Haushalten mit den „Löffeln“ und …….und….und…..
    Es ist einfach wunderbar, dass du trotzdem diesen Blog machst, denn er gibt Mut und Kraft! Man fühlt sich nicht mehr so allein! Man kann sehen, dass es Menschen gibt, die ihr Leben auch mit dieser chron. Erkrankung meistern, sich nicht unterkriegen lassen. Das ist so hilfreich!
    Gerade für die Betroffenen, die ihre Diagnose noch nicht oder noch nicht lange haben; für diese Menschen ist es ganz sicher hilfreich!
    Deshalb ein großes DANKESCHÖN an DICH, liebe Antje, und ein schönes, entspanntes Wochenende!
    Herzlichen Gruß von Milka

  3. Hallo,
    ich lese eher zufällig Deinen Blog, ich bin von der Krankheit nicht unmittelbar betroffen, kenne aber zwei Frauen, die damit leben müssen.
    Meinen größten Respekt vor Deinem Text!! Du lässt uns tief Blicken in die Realität und den Alltag, wie er nun einmal ist.
    Ich mag die Aktion 12von12 sehr gerne. Ganz oft habe ich mich gefragt: warum schaue ich mir diese Bilder von wildfremden Menschen an? Ich denke, es befriedigt zutiefst die Neugier, in andere Leben „reinzuschauen“. Und man vergleicht dann eben, wie so ein banaler Mittwoch bei anderen aussieht und wie bei einem selbst.
    Bei Dir jedenfalls hatte ich wirklich nie den Eindruck, dass die Fotos gestellt sind oder darauf zielen, einen bestimmte Atmospähre zu simulieren, die es gar nicht gibt. Ich empfinde sie immer als ehrlich und richtige Alltags-Schnappschüsse.
    Ich freue mich auf viele weitere Beiträge von Dir und wünsche Dir alles Gute!
    Ana

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