Isolation – wie es ist

Krankheit führt zu Isolation. Krankheit macht einsam.

Das sagt man so und das ist auch so. Hört man so etwas im eigenen Umfeld, von Bekannten oder gar Familienmitgliedern, wird gern gesagt: so ein Quatsch, das stimmt doch gar nicht, da ist doch jeder selbst dran schuld.

Nein, ich bin nicht selbst schuld und doch, das stimmt.

Und dafür gibt es Gründe.

verändertes Lebensgefühl

Niemand kann das Lebensgefühl eines chronisch Kranken nachvollziehen: die Schmerzen, die Ängste, die gestohlene Lebenszeit, das verständnislose Umfeld. Die Unsicherheit, die verkürzte Lebenserwartung, die Nebenwirkungen der Medikamente, die Persönlichkeitsveränderungen, die verminderte Lebensqualität.
Das Immer-Weniger-Werden, das Weniger-Wert-Sein, das Nicht-Leisten-Können, das Schwach-Sein, das Anders-Sein, das Abhängig-Sein.
Der Verlust von Beruf, Freunden, Ansehen, Gesundheit, Sicherheit, Vermögen, Zukunft, Prestige, Attraktivität, Vitalität, Unverletzlichkeit, Lebensaussichten.
Das Weglaufen der Zeit. Wann immer ich kann, möchte ich so viel machen, aber die anderen haben halt einen gleichmässigeren Rhythmus, sind nicht so auf ihre Körperlichkeit und Endlichkeit bedacht.

Sprachlosigkeit

Über viele Dinge spricht man einfach nicht: unappetitliche oder intime Symptome, das Altern, das Sterben, Körperveränderungen, Hilflosigkeit, Ängste, Unsicherheiten.

Körperliche Gründe

Es gibt auch ganz praktische Gründe: heute – zum Beispiel – tun mir die Hüften und die Schultern weh. Meine zusätzlichen Pfunde, die dem Hormonchaos und dem Kortison geschuldet sind, fühlen sich extremst unattraktiv an und so gehe ich nicht mit zum Schwimmen. Ich sage nein zu den Kindern und der Restfamilie und bleibe allein. Ähnlich zuletzt im Urlaub: nein, zu sonnig um am Pool rumzuliegen. Nein, zu heiss und zu weit zum Motorbootverleih.
Nein, ich kann Dich jetzt nicht auf den Arm nehmen, weil meine Arme (oderoderoder) weh tun. Nein, kein Spielplatz, nein, kein Trampolin. nein, kein Radfahren. Neinneinnein.

So habe ich schon viele Male „nein“ gesagt und mir gewünscht, dass ein „nein“ nicht immer Isolation und Verzicht bedeutet, sondern vielleicht Alternativen zum Vorschein bringt. Doch meist ist der Plan gefasst, wird umgesetzt und ich mache halt nicht mit. Und warum sollten auch viele auf etwas verzichten, wenn es nur einen gibt, der nicht will oder kann?

In meinem Umfeld erlebe ich immer wieder Rückzug, wenn ich deutlich mache, was für mich gerade nicht geht. Das fing vor vielen Jahren damit an, als ich nicht mit meinen Freunden ausgehen konnte und sie nach und nach verlor. Da setzt dann schnell ein Teufelskreis ein, weil man Menschen verliert, aber gleichzeitig immer weniger Gelegenheiten hat, neue Menschen kennenzulernen. Denn die trifft man meist im Verein, bei Freizeitaktivitäten oder im Beruf.
Rückzug aber auch im Kleinen: ich bekomme nicht gern die Hände gedrückt, das tut mir häufig weh. Zucke ich zurück oder sage das sogar, ist das Gegenüber meist betreten oder gar beleidigt. Es fragt aber niemand nach Alternativen oder bietet sie an. Ähnliches erlebte ich auch beim „mal richtig drücken“. Ich freu mich durchaus über die Geste. Mein komischer Körper braucht aber vielleicht gerade eine Alternative und keinen Rückzug, kein Sich-Abwenden, keine Kränkung darüber, dass man anders funktioniert.

Selbstschutz

Immer wieder muss ich mich selbst isolieren. Weil es mir zuviel ist, ich gerade keine Kraft für andere Menschen habe, meine Aufmerksamkeit eingeschränkt ist, die alltäglichen Anforderungen mich schon überfordern, ich Schmerzen habe und so weiter und so fort.

Alternativen finden

Mein jüngster Sohn ist ein Kuschelkind. Er liegt gern auf mir drauf oder zumindest an mir dran ;). Wenn ich ihm sage, da nicht oder hier tut mir das heute weh, dann läuft er nicht weg oder geht auf Abstand. Er sucht sich – geduldig und ohne beleidigt zu sein – ein Plätzchen an oder auf mir, mit dem er und ich gut leben können. Ich hoffe diese Unbefangenheit bleibt ihm lange erhalten ♡!

Was hilft also Gegen Isolation

Von den Gesunden, den Normalen, den Anderen würde ich mir Offenheit wünschen, die mir selbst gar nicht leicht fällt.
Interesse: was hat die eigentlich und was macht das mit der?
Akzeptanz: das ist bei der eben so.
Flexibilität: wenn Du das nicht kannst, wie machen wir es dann?

Selbst kann ich mich im Rahmen meiner Möglichkeiten immer wieder in Situationen bringen, wo ich Leuten begegne. Ich tue mich schwer mit Selbsthilfegruppen, andere mögen das. Ich gucke lieber an Orten, wo Menschen mit ähnlichen Interessen ausserhalb von Krankheit sind und gebe die Hoffnung nicht auf, dort auf offene, flexible Menschen zu treffen ;).

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