Wenn man aus Verzweiflung zum Privatarzt geht – wie es ist

Seit ein paar Monaten lasse ich mich – zusätzlich zu Hausärztin und Rheumatologin – von einem Allgemeinmediziner behandeln, der sich auf hormonelle Probleme und Ganzheitsmedizin spezialisiert hat. Er arbeitet ganz normal als niedergelassener Hausarzt und macht ausserdem Privatsprechstunden zu den oben genannten Themen.
Privatsprechstunden heisst, ich bezahle das selbst. Die Krankenkasse bezahlt einige der Laboruntersuchungen aufgrund meiner Diagnosen, der Rest ist mein Privatvergnügen.

Wie es dazu kam?

Ich renne ja schon seit einigen Jahren mit Beschwerden rum, die eher nicht zu meinen Autoimmunerkrankungen gehören. Dazu gehören Schlafstörungen, Juckreiz, Kurzatmigkeit, Stimmungsschwankungen, Gewichtszunahme, starkes Frieren, Krämpfe in Fingern und Füssen, Klossgefühl im Hals, Trockenheit der Haut, Nackenschmerzen, Schmerzen am Brustbein.
Ich schilderte all das meiner Hausärztin, die sich keinen Reim darauf machen konnte und den Juckreiz mit einem Antihistamin behandelte (das nehme ich heute noch).
Ich ging damit zu meiner Rheumatologin, die sich auf die Kurzatmigkeit stürzte, mich umfassend, inkl. CT untersuchen liess und nichts fand (ich bin immer noch kurzatmig).
Ich ging freiwillig zu einer neuen Gynäkologin, da ich mir sicher war, dass die Beschwerden zumindest teilweise hormonell sind. Diese wollte aber keinen Hormoncheck machen, „weil die Werte sich eh immer ändern“.
Ich setzte durch von einer SchilddrüsenspezialistIn gecheckt zu werden, bekam nach 4 Monaten einen Termin, sie diagnostizierte Hashimoto und verschob den Besprechungstermin um einige Monate (!) wegen Krankheit.
An dem Punkt wusste ich nicht mehr weiter. Ich hatte irgendwas an der Schilddrüse, aber keine Behandlung, all die Beschwerden, aber keine Diagnose, ich steckte fest.
Ich googelte hier und googelte da (man sollte übrigens un-be-dingt! alle längerdauernden Beschwerden googeln, aber dazu ein anderes Mal mehr), war mir weiterhin sicher, dass ein hormonelles Ungleichgewicht vorliegen müsse und suchte nach ärztlichen Alternativen.

Wo finde ich denn bloss einen Arzt?

Schilddrüsenspezis sind hier (wie auch RheumatologInnen) echt dünn gesät, alle hatten ewig lange Wartezeiten. Schon wieder eine neue GynäkologIn – neeee. Und so stiess ich schliesslich auf den Doc im Nachbardorf, der all das macht. Frauenhormone, Schilddrüse, Chroniker… Aber privat? Ich steh ja auf ÄrztInnen, die das Wartezimmer voll mit IGELleistungsprospekten und -postern haben – nicht! Ich war recht skeptisch, wie das abläuft, was das kostet, ob es sinnvoll oder doch Abzocke ist. Doch der Hausmeister a. D. bestärkte mich und so machte ich einen Termin (das geht da übrigens online, ganz problemlos und das finde ich wirklich praktisch) und ging ein paar Tage später mit einem Packen Berichte los.

Was passiert da?

Die Praxis ist sehr chic, das muss man sagen. In einem Schloss, ich denke, dass leistet man sich von Kassenhonoraren eher nicht. Ansonsten aber alles ganz normal, nette HelferInnen, gemütliches Wartezimmer.
Der Erstgesprächstermin war auf 60 Minuten angesetzt, das bucht man gleich mit und damit hatten wir reichlich Zeit. Der Doc erhob einen komplette Anamnese, ging die aktuelle Medikation mit mir durch, sah Arztberichte und Laborwerte durch und notierte alle momentanen Probleme. Diese wurden dann priorisiert und er erklärte mir sehr anschaulich und mit vielen Grafiken, wo er am ehesten Probleme vermutet und was die Ursache dafür sein kann. Er empfahl mir einige Blutuntersuchungen, beriet mich durchaus auch kosteneffizient und ich bekam einen Termin zur Blutentnahme. Da er etwas fassungslos war, dass man mich mit der Hashimoto-Diagnose so im Regen hatte stehen lassen, verschrieb er mir direkt L-Thyroxin und bot an, die Werte auch mit zu kontrollieren.
Die Blutentnahme fand nur wenige Tage später statt, die Besprechung dann in der Folgewoche. Und nun nehme ich seit einiger Zeit – neben Kortison und Azathioprin – Vitamin D, Omega-Fettsäuren, Zink, Magnesium, DHEA, Progesteron Creme und Schilddrüsenhormone.
Auch davon muss ich das meiste selbst bezahlen.

Schlosspraxis -Wenn man aus Verzweiflung zum Privatarzt geht - wie es ist

Wie es mir damit geht?

Es hat ein Weilchen gedauert, aber es geht mir besser. Die Haut ist besser, die Stimmungsschwankungen, Regelbeschwerden, Klossgefühl, Krämpfe, Frieren und die Schmerzen sind weg. Die Schlafstörungen waren zwischenzeitlich erheblich besser, sind seit ein paar Wochen aber wieder da. Der Juckreiz und die Kurzatmigkeit sind unverändert. Und leider auch die Gewichtszunahme. Da basteln wir noch an den Schilddrüsenhormonen, evtl. bekomme ich nach der nächsten Kontrolle noch ein zusätzliches Medikament.
Zusammenfassend würde ich sagen, dass keine Wunder geschahen, es mir aber besser geht.
Und ganz nebenbei ist es auch ein bisschen Balsam für meine wunde Patientenseele, dass ein Arzt sich in Ruhe und Selbstverständlichkeit um alle Misslichkeiten kümmert, ohne die Hand auf der Klinke, den Hörer am Ohr oder die Helferin in der Tür.

Medikamente

Was kostet der Spass?

Die Erstuntersuchung kostete 130 Euro, die Folgebesprechungen etwa 45 Euro. Die Laboruntersuchungen sind gesplittet, die Schilddrüse bezahlt die Krankenkasse, alle anderen Tests kosten zwischen 5 und 20 Euro. Die Medikamente, die Vitamine und so findet ihr zum Beispiel bei Amazon, mir wurden Hersteller empfohlen, wo man sich drauf verlassen könne, was drin wäre. Das DHEA ist etwa aufwendiger zu beziehen und kostet etwa 3 Euro/Woche. Die Progesteroncreme bekomme ich von einer Bestellapotheke und bezahle dafür etwa 4 Euro/Woche.
Das ist alles ganz schön happig und ich gucke schon, was wann ob und wie nötig ist. Alles in allem habe ich das Glück mir das für einen Luxusverzicht (z. B. Essen gehen) leisten zu können und finde es nicht ungerechtfertigt.
Mir erscheint es viel eher ungerecht, dass wir chronisch Kranken nicht auf Kassenkosten eine KoordinatorIn und umfassende BeraterIn (wie zum Beispiel die HausärztIn) an die Seite gestellt bekommen, welche ohne Kosten- und Zeitdruck, alle Aspekte der Beschwerden ansehen, angehen und koordinieren kann.
Und ähnlich ungerecht finde ich, dass manche Kassen damit werben homöopathische Zuckerkügelchen zu bezahlen, einige Hormone aber nicht.

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1 Kommentar zu „Wenn man aus Verzweiflung zum Privatarzt geht – wie es ist“

  1. Jean-Jacques Sarton

    Dein Bericht nach, dürfte dieser Arzt empfehlenwert sein. Ich freue mir, dass das eines oder anderes besser geworden ist. Ein guten Arzt der sich Zeit für Patienten mit eine nicht so alltäglichen Erkrankung nehmen sind Goldwert. Es wäre schön wenn Patienten mit seltene und belastenden Erkrankung ein koordinnator auf der Seite stehen würden.

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