Diagnosesuche Antje, Jg. 1970

Sieben Jahre bis zur Diagnose – Diagnosesuche Antje, Jg. 1970  

Diagnosesuche Antje, Jg. 1970 – Die ersten Beschwerden hatte ich im Februar 1993, als unmittelbar nach der Extraktion eines Weisheitszahns mein li. Knie anschwoll und so sehr weh tat, dass ich den Notarzt rufen musste. Meine Hausärztin vermutete zunächst einen Infekt, aufgrund des Zahnziehens ohne Antibiotikaprophylaxe. Sie verordnete mir also Antibiotika und Schmerzmittel. In den nächsten Tagen war es ein rechtes Auf und Ab, diverse Gelenke schmerzten, schwollen an und wieder ab, ohne erkennbares System. Dazu fühlte ich mich richtig „krank“. Da mein Vater an einer chronischen Polyarthritis leidet, lag der Gedanke an eine Autoimmunerkrankung nicht soo fern, als sich die Beschwerden nicht dauerhaft besserten. 

Schmetterling Diagnosesuche Antje, Jg. 1970
 

Auf der Suche

Nach sechs Wochen Krankschreibung fing ich wieder an zu arbeiten und wurde gleichzeitig in der rheumatologischen Ambulanz der MHH behandelt. Auch dort konnte man keine „richtige“ Diagnose stellen, da die Gelenkbeschwerden stets so schnell gingen wie sie kamen und ansonsten keine greifbaren Symptome vorhanden waren. Ich bekam weiterhin Schmerzmittel und Krankengymnastik und fühlte mich krank und auch ein bisschen albern, denn wenn keiner etwas findet kann, so dachte ich, dann kann ich auch nichts „Richtiges“ haben. Ich habe also versucht meine Kräfte einzuteilen, was dazu führte, dass ich normal arbeitete und mein Privatleben sehr einschränkte. Das Wochenende und der Feierabend waren der Erholung vorbehalten, was so aussah, dass ich dann wirklich nichts tat oder eben nur das Unvermeidbare.

Nach 6 Monaten – Diagnosesuche Antje, Jg. 1970

Im Sommer nahm ich an einer grossen mehrtägigen Feier teil, die ausser mit viel Spass, auch mit sehr viel Stress verbunden war. Am letzten Tag schwollen sämtliche Finger an und ich hatte starke Schmerzen in den Händen, Füssen und Knien. So stellte ich mich in der MHH vor, sie blieben bei ihrer Therapie und ihrer Diagnose „undifferenzierte Arthritis“. 

Frustriert wechselte ich zu einer niedergelassenen Rheumatologin, die nach einer Beobachtungszeit doch von einer chronischen Arthritis ausging und mir eine Basistherapie mit Azulfidine RA und ein magenfreundlicheres Medikament für die Schmerzen verordnete. Mit dieser Therapie fuhr ich eine ganze Weile ganz gut, d. h. die Schmerzen waren seltener und weniger ausgeprägt, ich konnte meinen Arbeitsalltag als Arzthelferin bewältigen und fand eine Verhältnis zwischen Ruhephasen und Teilnahme am Privatleben, mit dem ich leben konnte. Zwischendurch gab es immer wieder schlimmere Phasen, in denen entweder die Schmerzen oder die Erschöpfung stärker waren; meist nahm ich das so hin, weil ich dachte, dass ich mich zu sehr anstelle. Manchmal erwähnte ich es bei meinen Kontrollterminen, fand mich aber nie wirklich ernstgenommen. Nach einem Missverständnis mit der Rheumatologin mochte ich nicht mehr dort behandelt werden und liess die erforderlichen Blutkontrollen für die Basistherapie und die Verordnungen der Medikamente bei meiner Hausärztin machen.

Nach 3 Jahren – Diagnosesuche Antje, Jg. 1970

Vielleicht muss ich dazu erwähnen, dass ich in der Praxis meiner Hausärztin meine Ausbildung zur Arzthelferin absolviert habe und auch nach der Ausbildung noch einige Jahre gearbeitet habe. Zudem ist sie eine Nachbarin meiner Eltern. Alles in allem fühlte ich mich dort nicht wirklich schlecht, aber nie richtig behandelt. Ich war persönlich bekannt, man sah mir nur selten meine Krankheit an, insgesamt lief die Behandlung stets nebenbei und beiläufig. Fragen wurden stets mit Gegenfragen oder vagen Andeutungen beantwortet, schliesslich war ich ja „vom Fach“. Das und die vorangegangenen schlechten Erfahrungen verstärkten mein Gefühl, dass ich nicht wirklich krank bin und ich mich nur anstelle. Zusätzlich arbeitete ich zu dieser Zeit in einer Praxis in der ausschliesslich chronisch Kranke behandelt wurden und ich sah täglich, wie eine adäquate Versorgung dieser Patienten funktioniert, wie sehr sich (heute muss ich sagen: manche) Ärzte dahinter klemmen, eine Diagnose zu stellen und eine Therapie einzuleiten. Jedenfalls geschah all das bei mir nicht und somit konnte ich auch nicht wirklich krank sein, denn dann würde sich ja einer kümmern…

Nach 5 Jahren – Diagnosesuche Antje, Jg. 1970

Bis 1998 lief alles so weiter, ich nahm die Basistherapie unverändert ein, verzichtete eher auf Unternehmungen als Schmerzmittel zu nehmen und hatte mich insgesamt an die Einschränkungen gewöhnt. Meine Arbeit konnte ich allerdings nicht mehr zu meiner Zufriedenheit ausführen, da meine Morgensteifigkeit nicht zu den allmorgentlichen Blutentnahmen passte. Ich verlagerte meine Arbeit auf den bürokratischen Teil, fühlte mich aber nicht ausgelastet, da mir die Laborarbeit und die Arbeit mit den Patienten fehlte. Nach einer längeren Frustphase und aufgrund verschiedener anderer Faktoren entschloss ich mich zu einer örtlichen und beruflichen Veränderung und zog 1998 nach Ostfriesland, wo ich für zwei Jahre im Geschäft meiner Mutter arbeiten und zeitgleich eine schulische Ausbildung zur DV-Assistentin absolvieren wollte.

Neue Symptome kamen dazu

Das erste Jahr ging noch halbwegs gut, wobei ich in guten Zeiten meine Schule im Schnelltempo absolvierte, dann aber immer wieder tagelang nichts neben der Arbeit schaffte. Mein Leben bestand aus Arbeiten, Lernen, Essen, Einkaufen und Schlafen, wobei Telefonate und Mails noch die grösste Abwechselung darstellten. Ab Sommer 1999 kam ich immer schlechter mit meiner Schule voran, ich fehlte häufiger auf der Arbeit und fühlte mich insgesamt sehr schlecht. Während gelegentlicher Hannover-Besuche suchte ich meine Ärztin auf, die aber keine neue Idee hatte. Im Winter 2000 kamen dann neue Symptome hinzu. Zunächst bemerkte ich, dass mir auf der abendlichen Heimfahrt häufig die Augen zufielen, bzw. so schwer waren, als wenn man sehr müde ist. Ich bekam Probleme, wenn ich ins Auto einstieg, die Beine hochzunehmen oder sie beim Sitzen übereinander zu schlagen. Ich half immer häufiger mit den Händen nach… Dann fiel ich mehrmals beim Sitzen in der Hocke um, mir fielen Dinge herunter, die ich über Kopf heben wollte, ich hatte gelegentliche Probleme beim Kauen und mitunter beim Lachen das Gefühl, die Kontrolle über meine Mimik zu verlieren. Mehrmals fiel ich hin, beispielsweise beim Treppensteigen oder beim schnellen Aufstehen. Das Aufstehen aus dem Liegen fiel mir so schwer, dass ich mich vom Rücken auf den Bauch rollte und dann die Beine anzog um über die Hocke zum Sitzen zu Kommen und dann aufzustehen… War bestimmt ein interessanter Anblick 😉 All diese Symptome traten sporadisch auf, manchmal gleichzeitig, manchmal einzeln und verschwanden nach Erholungsphasen. Meine Gelenkbeschwerden waren gleichbleibend und die Erschöpfung eher schlimmer. 

Nach 7 Jahren – Diagnosesuche Antje, Jg. 1970

Im März 2000 suchte ich erneut meine Hausärztin auf und schilderte ihr meine Beschwerden, sie machte diverse Blutuntersuchungen, die einen Folsäuremangel und eine Borreliose ergaben. Setzte das Azulfidine ab, da es einen Folsäuremangel fördert und überwies mich zum Neurologen zur Abklärung. Er machte diverse Untersuchungen, fand aber keine Ursache und empfahl mir Tee und Ruhe. Später habe ich mir seinen Bericht besorgt und nur noch gestaunt. Dort stand: die Patientin hat Missempfindungen in den Beinen beim Übereinanderschlagen. Dabei hatte ich ihm ausführlich die oben geschilderten Probleme erzählt… Insgesamt erschien ich ihm angespannt (na ja, ich bin öfter angespannt, wenn ich auf dem Weg zu einem neuen Arzt mit nahezu geschlossenen Augen und Pudding in den Beinen durch die Innenstadt laufe, wovon nach der Erholungszeit im Wartezimmer natürlich nichts mehr zu merken war). Jedenfalls verordnete mir meine Hausärztin (mal wieder) Antibiotika gegen die Borreliose, empfahl weiterhin Folsäure einzunehmen und schürte in mir die Hoffnung, dass meine Gelenkbeschwerden evtl. insgesamt von der Borreliose herrührten und somit heilbar wären… Aus dieser Zeit stammt meine Überlegung, dass ich mir gar nicht mehr vorstellen kann, wie es wäre gesund und insbesondere nicht ständig erschöpft zu sein.

Nach mehrwöchiger Antibiotikatherapie änderte sich aber leider nichts, die einzigst positive Veränderung war, dass ich mich ohne das Azulfidine weniger schlapp fühlte. Ich beendete mit mehrmonatiger Verspätung meine Ausbildung und fand (trotz eines Vorstellungsgesprächs in dem ich kaum dem Blick meines Gesprächspartners standhalten konnte, weil mir ständig die Augen zufielen) prompt eine Stelle in Hannover und zog wieder um.

Und endlich – eine Diagnose

Da ich nun wieder örtliche Nähe zu meiner Hausärztin hatte und meinen neuen Beruf zumindest relativ fit angehen wollte, sich aber aufgrund des Stress, bedingt durch Umzug und neuen Job, auch noch die Gelenkbeschwerden verschlimmerten, ging ich erneut zu ihr und jammerte diesmal wirklich solange, bis sie mich an einen anderen Rheumatologen verwies. Nach mehrwöchiger Wartezeit bekam ich einen Termin. Die Untersuchung verlief zunächst wie bekannt, ja, ich hätte leichte Gelenkschwellungen, aber der Rest…?! Es folgten Blut- und Röntgenuntersuchungen und bei dem Termin zur Besprechung der Befunde, war ich dann plötzlich eine „anerkannte Kranke“. Die BKS und andere Entzündungsparameter waren katastrophal, ausserdem wurden Autoantikörper gg. Acethycholin-Rezeptoren (welche ein relativ sicheres Zeichen für eine Myasthenie sind) festgestellt, desweiteren diverse rheumatologische Befunde. Der Rheumatologe schlug mir eine stationäre Einweisung in die MHH vor. Aufgrund meiner frisch angetretenen Stelle wollte ich es lieber zunächst ambulant probieren und bekam dank seiner Intervention einen sehr kurzfristigen Termin in der rheumatologischen Ambulanz der MHH. Es folgten diverse Untersuchungen und nach mehreren Vorstellungen (u. a. auch in der Neurologie) bekam ich die Diagnosen Lupus erythematodes und Myasthenia gravis mitgeteilt. Ich wurde auf Imurek und Cortison eingestellt und viel mehr erfuhr ich eigentlich nicht, wobei ich auch zunächst so vor den Kopf geschlagen war, dass ich nicht viele Fragen hatte. Lupus kannte ich nur von einer Dialysepatientin in seiner schlimmsten Form und für mich war das immer die furchtbarste aller rheumatischen Erkrankungen gewesen. Und das sollte ich nun haben (ich, die sich immer nur anstellt) und dann noch zusätzlich eine Autoimmunerkrankung der Muskeln?! 

Mittlerweile lebe ich über zwanzig Jahre mit den Diagnosen und komme ganz gut klar. Die optimale medizinische Versorgung habe ich leider immer noch nicht gefunden, manchmal suche ich noch nach ihr ;).

#Diagnosesuche

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