Positivität – wie es ist

Positivität - wie es ist

Mich treibt seit einiger Zeit etwas um, was sich erst nach einiger Zeit wirklich als Thema entpuppte. Positivität, toxisch oder auch nicht.

  • In den letzten zwei Jahren ging es mir oft sehr schlecht, 2021 hatte ich nur wenige schmerzfreie Tage, mein Denken und Handeln war bestimmt durch Schmerzen und Nebenwirkungen von starken Medikamenten, bis hin zu Chemotherapie. Noch immer bin ich unglaublich erschöpft und kraftlos. Immer mal wieder wurde mir gesagt oder geschrieben, ich solle positiv denken, mich auf das Gute besinnen, mich entspannen, locker lassen.
  • Wenn Du Dich im Internet mit Autoimmunerkrankungen beschäftigst, ist Dir vielleicht auch schon aufgefallen, dass in den letzten Jahren viele Seiten (Blogs, Infoseiten, Instaaccounts usw.) aufgetaucht sind, in denen es darum geht, bestimmte Autoimmunerkrankungen, am häufigsten Hashimoto, aber auch alle anderen AI-Krankheiten, wegzuturnen, wegzuernähren, wegzumeditieren, wegzudenken.
  • Und dann gab es den Lupustag im Internet, wo es (auch) um ähnliche Thematiken ging und mir  (vermeintlich) junge fitte Frauen  in eigenen Turnzimmern vorführten, was ich alles tun könnte, um mich besser zu fühlen.

Kurz danach bekam ich eine Anfrage, ob ich eine „Mutmachgeschichte“ schreiben wolle. Fast zeitgleich stolperte ich bei Facebook über diesen bemerkenswerten Artikel zu Positivität.

und las kurze Zeit später bei Twitter dieses:

Ich schrieb keine Mutmachgeschichte – nicht weil ich es nicht konnte, natürlich gibt es viele positive Aspekte, die ich sehe und für die ich dankbar bin. Sondern weil es sich – im Moment – nicht richtig anfühlte.

Die Positivität, die schon durch das Wort „Mutmachgeschichte“ impliziert wird, passte nicht zu mir und meiner momentanen Situation.

Ich bin so massiv eingeschränkt durch meine Krankheit, durch die Behinderungen von aussen, durch die finanziellen Nöte, die aus Jahrzehnten chronischer Krankheit entstehen, durch Corona, durch Schmerzen, durch Ausgrenzung und Einsamkeit. Durch die fehlende Perspektive, dass mir ein „richtiges“ Mind Set, Postitivität nicht weiterhilft. Mir geht es nicht gut, obwohl ich atme, positiv denke, Yoga mache, dankbar bin, mich gesund ernähre, Achtsamkeit übe, was auch immer – ich benötige Chemotherapie um meinen Lupus in Schach zu halten. Zusätzlich zu Immunsuppressiva und Cortison seit mehr als 20 Jahren. Fast all meine Versuche Einfluss zu nehmen, enden in einem „geht nicht“.

Und ich finde mit diesen Umständen – oder auch jeder andere mit seinen persönlichen Umständen – hat man das tief empfundene Recht, dass alles richtig Scheisse zu finden. Zu hadern, wütend, traurig und auch mutlos zu sein. Man muss doch all diese Einschränkungen, Behinderungen irgendwie verarbeiten. Es ist nicht meine Pflicht eine Krankheitsheldin zu sein und hocherhobenen Hauptes mit einem grünes Smoothie in der Hand meine kaputten Knie in eine Yogaposition zu zwingen, aus der ich nie wieder aufstehen können werde und dabei auf „Aua“ zu meditieren.

Man könnte das ja auch im Umkehrschluss so interpretieren, dass es mir schlecht geht, weil ich nicht ausreichend dankbar war. Weil ich ungesund ass oder falsch atmete. Habe ich mich nicht genügend angestrengt gesund zu sein?

Und eine weitere Frage stellt sich mir: muss ich mich denn immer gut fühlen? Dauerhaft glücklich, fröhlich, positiv sein? Kann ich nicht fühlen, was ich gerade fühle? Ist das verkehrt? Gehört nicht die ganze Bandbreite an Befindlichkeiten und Gefühlen zum Leben, ob nun gesund oder krank?

Lupus – und alle anderen chronischen Krankheiten – sind das Allerletzte. Wir Lupis sind keine Helden. Definitiv bin ich keine Heldin. Kein Vorbild. Warum sollte ich das sein? Weil ich eine Last tragen muss? Jeder Mensch trägt sein Päckchen mit sich herum. Das ist das Leben. Jeder geht damit auf seine Weise um.

Ich weiss nicht, ob man im Internet Geschichten braucht, wie schlimm alles sein und werden kann. Aber wenn es mir richtig schlecht geht, brauche ich definitiv kein Feelgood-Tralala, das mir vorgaukelt, ich könnte aktiv grosse Veränderungen hervorrufen.

Natürlich braucht man Strategien um mit der Last der Krankheit(en) umzugehen und natürlich braucht ein jeder auch Positivität. Aber im wesentlichen benötigen wir eine gute Betreuung, Empathie, Unterstützung, Entlastung – auch finanziell –  und Therapien – systemisch, symptomatisch und strukturell. Was helfen würde: Hilfen im Alltag, Unterstützung bei einer löffelsparenden Lebensweise, Zugang zu Hilfsmitteln und finanziellen Hilfen, Forschung, kompetente Ärzt*Innen, mehr Rheumatolog*Innen, mehr Öffentlichkeit/Bekanntheit von Lupus und den Folgen.

Für mich habe ich mich ganz bewusst für das Blogformat, eine winzige Leserschaft und auch das ganz banale Freitagszeuch entschieden. Wer das Format verfolgt, findet keine Mutmachgeschichten, aber (m)einen Umgang mit guten und richtig miesen Zeiten, der neben Alltag stattfindet. Denn dieser läuft immer weiter und richtet dann auch den Focus wieder auf die normalen und auch guten Dinge im Leben als chronisch Kranke.

 

Wie es ist


Definition toxische Positivität: als toxische Postivität bezeichnet man einen erzwungenen Optimismus, in dem es keinen Raum für negative Gedanken und Wut gibt. Zu einem gesunden Leben gehört aber die gesamte Bandbreite an Emotionen, auch die schmerzhaften. Lass Dir also nicht einreden, in allem immer nur das Gute sehen zu müssen. Natürlich kann es heilsam sein, gerade in scheinbar ausweglosen Situationen zu schauen, ob es wirklich alles so schlimm ist. Aber erlaube Dir auch, genervt, traurig und frustriert zu sein. Du wendest Achtsamkeit und Dankbarkeit dann nicht falsch an, sondern pflegst einen mündigen, ganzheitlichen Umgang mit Deiner Gefühlswelt. Wenn es dir richtig schlecht geht, kannst Du immer noch schauen, wie du mehr Optimismus etablieren kannst. Verbannen musst Du schlechte Gefühle aber nicht. (aus Ein guter Plan)

2 Kommentare zu „Positivität – wie es ist“

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