Von Ärzten, Windmühlen und fehlenden Diagnosen – wie es ist

Ich habe Beschwerden. Viele, durchaus unspezifische, in ihrem Gesamtbild dann aber doch so eindeutige, dass ich mir meine Diagnose oder zumindest die Richtung in die es geht, ergooglen konnte.
Sie kamen nicht plötzlich und sie kamen nicht alle auf einmal. Hier etablierte sich etwas und dort entwickelte sich etwas anderes. Ich nahm zu.  Ich wurde immer unkonzentrierter und mein Gedächtnis schlechter. Meine Haut ist trocken, mein Schlaf schlecht. Über Jahr und Tag. Seit circa fünf Jahren. Erwähnte ich es bei meinen Ärzten wurde es nicht zur Kenntnis genommen oder als Alter oder Normalität abgetan. Auch privat waren all diese Problemchen eher etwas ärgerlich, nervig, ein Tick oder ein Stell-Dich-nicht-so-an.
Immer neue Fiesigkeiten kamen dazu. Juckreiz, der nur mit Medikamenten nachliess. Deshalb nehme ich jetzt seit über einem Jahr ein Antihistamin, eine Begründung dafür gibt es nicht, nur das es hilft. Krämpfe, starke Stimmungsschwankungen, Frieren, Schmerzen im Nacken und am Brustbein. Mal mehr, mal weniger. Man versteht mich immer weniger, ich fühle mich meinem Körper machtlos ausgeliefert.

Noch in Hannover – vor etwa vier Jahren – fragte ich meinen Hausarzt nach einem Schilddrüsencheck. Er befand das als Blödsinn, mein TSH sei ja normal. Ich bat meine Gynäkologin um Hilfe, die mich überwies. Ausserdem sagte sie mir, dass die evtl. hormonellen Probleme nicht gynäkologisch wären, mein Zyklus sei ja regelmässig. Der Befund war unspezifisch, ein paar Knötchen, Schilddrüsenwerte im Randbereich. Kontrolle irgendwann.Schmetterlinge im Zoologischen Museum Kiel

Wir zogen um, es gab viel zu tun, neue Ärzte sind noch gruseliger als die bekannten, die Beschwerden waren auch noch nicht so schlimm wie heute – kurz gesagt, ich liess die Schilddrüse erstmal nicht kontrollieren.

Vor zwei Jahren wurde es schlimmer. Ich fragte meine Hausärztin um Rat, die keinen richtigen Tipp hatte. Ich kam wieder auf die Schilddrüse zurück, die Hausärztin befand eine Kontrolle für unnötig, der TSH sei ja kontrolliert und normal.

Schliesslich schrieb ich mir eine Liste mit all den Problemen und nahm sie mit in die Uniklinik. Die Rheumtologin schickte mich zu vielen vielen Untersuchungen, nur die Schilddrüse wollte sie nicht untersuchen. Der TSH sei ja normal, dann wäre das Quatsch. Ich bestand darauf endokrinologisch untersucht zu werden. Das ist mir sehr sehr schwer gefallen. Unglaublich schwer. Ich habe nie gelernt etwas für mich zu verlangen. Ich fühle mich schlecht dabei, als verlange ich Unmögliches, als spiele ich ich auf, als nähme ich mich zu wichtig. Ich tat es trotzdem, weil ich einfach verzweifelt bin. Weil ich mit niemanden sprechen kann. Weil mich niemand sieht. Niemand ernst nimmt.

Ich bekam einen Termin, erst drei Monate später, direkt in der Uni bei den Endokrinologen, die Schilddrüse wurde untersucht, Blut abgenommen. Ich solle mich beim Gynäkologen durchchecken lassen. Und bekam einen Besprechungstermin – zwei Monate später.

Ich ging zur Gynäkologin, check check check – nöö, Ihr Zyklus ist regelmässig, dass kann nicht an den Hormonen liegen.

Dann traf der Arztbrief aus der Endokrinologie ein: upps, TPO-Antikörper – Verdacht auf Hashimoto. Keine Empfehlung, keine Therapie, kein schnellerer Termin.

Ich habe also zwei weitere Monate all die Beschwerden, die mich schon seit fünf Jahren immer mehr nerven, da wird kurz vor dem Stichtag der Termin wegen Krankheit der Ärztin abgesagt… Ich rufe zurück und verlange einen neuen Termin. Man sucht und sucht und sucht – Ende Juli! Da geht es bei der Ärztin. Ich bin kurz sprachlos, versuche verschiedene Einwände – therapielos, anderer Arzt, jeder Termin jederzeit – sinnlos, Ende Juli.

Da steh ich nun und weiss nicht weiter.

Immer wieder erlebe ich das.

In mir ist so viel kaputt gegangen. So viel was die Ärzte nicht heilen können. Meine Beziehung hat gelitten, mein Selbstverständnis hat gelitten, Wege blieben ungegangen, weil ich zu krank war. Ich traue meiner Körperwahrnehmung nicht, auch wenn sie ja offensichtlich gut ist und ich traue den Ärzten nicht.

Mit meinem Lupus bin ich unsägliche sieben Jahre unerkannt rumgelaufen, mit der Myasthenie über ein Jahr, mit der Schilddrüse jetzt fünf Jahre. Jedes Mal habe ich die richtigen Fachärzte aufgesucht und meinen jeweiligen Hausärzten die Beschwerden geschildert. Und doch wurde der Lupus nur als Zufalls-Nebenbefund erkannt, für die Myasthenie brauchte es einen Diabetologen und die Schilddrüsenerkrankung wurde nur diagnostiziert, weil ich auf einen fachärztlichen Komplettcheck bestand.

Zusammengerechnet bin ich ein Viertel meines Lebens mit schweren unbehandelten internistischen und neurologischen Krankheiten rumgerannt und die Ärzte und auch mein Umfeld leierten nur die Augen.

Das hat so viel mit mir gemacht, dass ich eigentlich eine Therapie bräuchte, um mein Menschenbild und vor allen Dingen mein Selbstbild wieder zurecht zu rücken. Nur leider traue ich keinem Therapeuten.

Deshalb sage ich all Euch Undiagnostizierten – bleibt dran.

Ihr spinnt nicht! Ihr fühlt Euch! Geht hin zu Euren Ärzten! Besteht darauf, die Ursachen für Eure Probleme zu finden! Seid Euch wichtig! Nehmt Euch ernst! Werdet Euer eigener Spezialist! Steht für Euch ein! Haltet durch! Sorgt dafür, dass man Euch sieht! Macht Euch sichtbar! Seid laut, wenn es sein muss!

9 Kommentare zu „Von Ärzten, Windmühlen und fehlenden Diagnosen – wie es ist“

  1. Liebe Antje,

    ich danke Dir von Herzen für diesen Text , der mich so unglaublich berührt hat, weil ich mich in so vielen Bereichen wiederfinde. Ich habe ihn sofort auf meiner Facebookseite und der dazugehörigen Gruppe geteilt, weil ich mir sicher bin, dass Du vielen von uns damit direkt aus der Seele sprichst. Was Du an dieser Stelle ausgesprochen hast, kann gar nicht oft genug gesagt werden. Ich hoffe inständig, dass dieser Text möglichst viele Menschen und auch Ärzte erreicht.

    Ich wünsche Dir alles Liebe, fühl Dich herzlichst gegrüßt
    Daniela

  2. Danke, liebe Daniela :). Es ist immer ein Schritt, so viel persönliches preiszugeben. Da tut es mir besonders gut Feedback zu bekommen ;).
    Auch Dir alles Liebe!
    Antje

  3. Jean-Jacques Sarton

    Liebe Antje,
    Die Unwissenheit manchen Ärzte ist immens, vor allem wenn eine Erkrankung selten ist. Treten mehrere davon gleichzeitig auf oder folgen die Beschwerden nicht der „Norm“, ist der Betroffenen schlecht dran. Ich bin zwar (hoffentlich) gesund, meine Angetraute hat, wenn orpha.net glaube eine atypische atypische neurologische Erkrankung. Obwohl der Weg zur Diagnose nicht so lang war (ich hatte Vermutungen und hätte von den befragten Arzt gern ein Ausschluss gehabt) kam die Diagnose. Seitdem haben wir einige Fachärzte verschließen, ein Vertrauen konnte nicht aufgebaut werden, sie hatten keine Erfahrung und zu wenig Ahnung.
    Ich kann deine Aufführungen sehr gut nachvollziehen und wünsche Die alles gutes und Therapien die ein wenig helfen.

  4. Vielen Dank liebe Antje, das tut so gut zu lesen & macht Mut sich mehr durchzusetzen !
    Leider ist es ja auch genau so wie Du schreibst, alles andere ist wichtiger und wer nicht dran bleibt hat verloren…
    Auch Dir viel Kraft weiterhin !

    LG Sonia

  5. Liebe Antje,
    auch ich möchte dir herzlich für diesen Erfahrungsbericht danken!
    Es MUSS einfach mehr in die Öffentlichkeit rücken, dass es Menschen gibt, die jahrelang auf Diagnosen und dementsprechende Behandlungen warten müssen, weil ihre Symptome/Erkrankungen selten sind!
    Die fehlende Zeit der Ärzte und auch die fehlende Menschlichkeit gegenüber den Patienten ist ein großes Thema. Wenn dann auch noch Unwissenheit dazu kommt, kann man als Patient fast verzweifeln ……..:-(
    Für dich und deinen weiteren Weg wünsche ich dir alles, alles Gute, Durchhaltevermögen und Erfolg!
    Lieben Gruß,
    Milka

  6. Ich kann dem Allen hier nur zustimmen. Es deckt sich mit meinen Erfahrungen. Selbst nach der Lupus-Diagnose wurde meiner Tochter jahrelang noch vermittelt, bestimmte Beschwerden könne sie gar nicht haben und ihre Gefühlslage sei schlichtweg falsch. Sie spürte immer sehr früh, wenn wieder etwas auf sie zukam. Das vernichtet in der Tat das Selbstbild. Wie haben wir kämpfen müssen gegen Ignoranz, Vorurteile, Verurteilungen und Unwissen im medizinischen System, um einen Rest ihrer Menschenwürde zu erhalten und Maßnahmen durchzudrücken. Ich kann dich so gut verstehen.

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